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Interview der Frankenpost-Redaktion im Rahmen der "homestory" Serie mit Persönlichkeiten der Region

"Corona macht uns wieder wach"

Udo Rödel hat sich ein Leben lang für Kunst, Bildung und soziales Miteinander eingesetzt. Mit 73 Jahren lässt er es langsamer angehen. Und doch treibt ihn das Zeitgeschehen um.

Von Lisbeth Kaupenjohann

 


© alle Fotos: Patrick Findeiß
Münchberg - Auf der Bank vor dem Haus sitzend, den Blick über Blumen, Büsche und Gräser ins Weite gerichtet - so sieht einer aus, der zufrieden auf ein erfülltes Leben zurückblicken kann. In Corona-Zeiten hat so mancher den Wert von Familie und einem schönen Zuhause neu entdeckt. Auch Udo Rödel, Lehrer im Ruhestand, weiß den Rückzugsort zu schätzen - nicht erst seit Ausbruch der Epidemie. Zufrieden darf er sein, doch halten ihn die Ereignisse und Zwiespältigkeiten des Lebens nach wie vor unter Spannung. 46 Jahre Schuldienst, mehr als 50 Jahre politische Aktivität und die immer neuen Herausforderungen eines Künstlerlebens haben den 73-Jährigen nicht kleingekriegt. Vielmehr hat er daraus Lebenssinn und Energie geschöpft. Aber dass trotz aller Anstrengungen Dummheit, Egoismus und Verblendung nicht auszumerzen sind, macht ihm zu schaffen.

Jetzt, wo angesichts der Krise Nachdenken, Neuorientierung und gesellschaftspolitisches Engagement mehr denn je gefragt sind, Zukunft auf den Weg gebracht werden muss, sieht er darin auch Chancen. "Corona macht uns wieder wach und gleichzeitig bewusst, was wirklich nötig ist", meint Rödel. Die soziale Marktwirtschaft habe vielen Wohlstand gebracht. Warum spreche heute kaum einer mehr davon? Es gelte, diese Wirtschaftsform mit neuen Inhalten zu füllen. Wie wichtig ein gut ausgebautes Gesundheitswesen und angemessene Löhne in den Pflegeberufen sind, werde jetzt besonders deutlich. Nun zeige sich, welche Berufe wirklich systemrelevant sind.

"Derzeit werden Milliarden von Euro ins System gepumpt. Da müssen wir auch auf Nachhaltigkeit achten", meint Rödel, dem gar nicht wohl ist bei dem Gedanken, dass gerade wieder die großen Konzerne profitieren, die von Haus aus gut abgesichert sein dürften. Er erinnert sich an seine Jugend, als junge Leute wider eine starre Gesellschaftsordnung, für Frieden und Freiheit, aber auch für ein soziales Miteinander auf die Straße gingen. "Wir Alten können nicht mehr auf die Barrikaden gehen - das müssen wieder die Jungen machen, es ist ja auch ihr Geld, das jetzt ausgegeben wird", sagt er und sieht die Schüler mit ihren Freitags-Demonstrationen auf dem richtigen Weg. "Die Klimakatastrophe ist da - wir müssen mehr in die Zukunft investieren."
An eine Klimakatastrophe zu denken fällt schwer, sieht man sich in Rödels Garten um. Der Blick fällt auf Pfingstrosen und Vergissmeinnicht, auf Stiefmütterchen und Löwenzahn, Buchsbaum und Farn. Hier herrscht ein harmonisches Miteinander von gepflegtem Ambiente und Natur. Sammy wuselt um sein Herrchen herum und kehrt schließlich ins Haus zurück. Vor 35 Jahren galt es als erstes biologisches Holzhaus in Münchberg, es strahlt Wärme aus, hat Stil.

"Hinter jedem großen Mann steht eine starke Frau", weiß ein Sprichwort. Monika Rödel hat ihrem Mann immer den Rücken gestärkt, doch hält sie sich gern im Hintergrund. Haus und Familie - die beiden haben einen Sohn - sind Rückzugsgebiet. Doch spürt man ihr Wirken, ihren Charme. "Mir ist mit zunehmendem Alter klar geworden, dass es meine Familie über die Jahre nicht leicht hatte mit mir", gesteht sich Udo Rödel ein. "Für andere war ich immer da, für die Familie vielleicht zu wenig." Er hat seine Monika 1968 geheiratet, da war er gerade mal volljährig.

Im selben Jahr ist er in den Münchberger SPD-Ortsverein eingetreten, hatte ein Jahr Unterricht als Bayerns jüngster Fachlehrer hinter sich. Dass er in diesen Zeiten aufmüpfig war, hätte ihn fast einmal den Job gekostet. Kunst war schon damals Teil seines Lebens. Und auch da war er risikofreudig. Lehrer ist er immer gern gewesen. "Ich habe beispiellose Erfahrungen mit vielen besonderen Schülern gemacht", erinnert sich Rödel. Viele seien später tolle Handwerker und Lehrer geworden. Viele hätten ihn auch unterstützt in seinen künstlerischen Unternehmungen.

Ergebnisse dieser erfolgreichen Partnerschaft sieht man, wenn man das Bächlein überschreitet, das Rödels Garten zur Wiese hin begrenzt. Auf einem Rundweg begegnet man vielen Skulpturen. Oft waren es Fundstücke, die Rödel zu Kunst verarbeitet hat: urig behauene Holzblöcke, filigrane Stahlkonstruktionen, oft kombiniert mit heimatlichem Granit. Zu einem Rundgang lädt Rödel gerne ein - Anruf genügt. Da das Grundstück nicht gedüngt, sondern nur zweimal im Jahr von der Pächterin gemäht wird, wachsen hier viele Gräser und Blumen. Hier kann sich der Mensch als Teil der Natur fühlen, die wächst und vergeht. Dass das Klima sich verändert, hat Rödel unter anderem daran erkannt, dass die Wiese in den letzten Jahren weniger Heu gebracht hat. Das Wasser fehlt.
Die Stärkung von Kunst und Sozialem war Udo Rödel stets ein Anliegen. Als in den 1970er-Jahren Jugendliche in Münchberg oft nicht wussten, wo sie sich treffen sollten außerhalb der Vereine und kirchlichen Organisationen, eröffnete er 1975 die Kneipengalerie "Bärenschenke", wo regelmäßig Ausstellungen stattfanden. Ab 1982 gab es dann das Bürgerzentrum, initiiert von Rödel. Es ist seitdem unter Leitung des Vereins Münchberger Stadtjugend Begegnungsstätte von Jung und Alt, Jugend- und Kulturzentrum. Noch heute ist Udo Rödel eng mit dieser Einrichtung verbunden. Jetzt sucht er Nachfolger.

"Münchberg wurde in den vergangenen Jahrzehnten beispielgebend für viele nordbayerische Städte", meint er stolz. "Um die Aktivitäten des Arbeitskreises Kunst und der Jungen Kunstschule werden wir immer noch beneidet." Kommunalpolitische Arbeit sei mühsam, biete aber die Möglichkeit, das Leben in einer Stadt zu gestalten. Sie müsse allerdings noch transparenter werden, damit die Bürger sie verstehen. Noch heute ist Udo Rödel stolz darauf, dass die Pulschnitz-Überbrückung gelungen ist und schöne Brunnenanlagen sowie Kunstobjekte die Innenstadt prägen. Noch vieles gelte es anzupacken. "Münchberg macht sich auf den Weg", freut sich Rödel und denkt da zum Beispiel an ein neues Schulhaus.

Als Ex-Lehrer findet Rödel, dass die Lehrpläne von so manchem befreit werden müssten, das Lehrer und Schüler einengt. "Immer nur mehr Wissen anzuhäufen ist nicht gleichzusetzen mit Bildung." Wichtig sei, zu lernen, wie man Informationen filtert und Wissen anwenden kann. "Der Mensch muss kreativ und schöpferisch bleiben."

Noch vieles kommt zur Sprache auf dem Weg zurück zum Haus. Es geht um den verantwortlichen Umgang mit der Natur, um das Tierwohl, die Abkehr von den Agrarkonzernen zugunsten einer regionalen Landwirtschaft. Rödel setzt auf Verbraucher, die regional, qualitäts- und geschmacksbewusst kaufen. Und kommt noch einmal auf die "große" Politik zu sprechen. Da habe man über die Jahrzehnte ein großes Maß an Offenheit und Demokratie erreicht - und dann hätten sich trotzdem rechtes Gedankengut, Unzufriedenheit und Hass breitgemacht. Er sehe zum Beispiel die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona nicht als Eingriff in bürgerliche Freiheiten. "Es zählt ja nicht nur meine eigene Freiheit, sondern auch die des anderen." Verstehen könne er, wenn jene aufbegehren, die großen Leidensdruck erfahren. Aber leider siege oft egoistisches Denken über die Vernunft. Deshalb ist Bildung für alle, und das in ganz frühen Jahren, umso wichtiger."

Während der letzten großen Ausstellung, die er 2017 in der Schoedels-Fabrik auf die Beine gestellt hat, konnte man sich von seinem Schaffen und dem anderer Künstler aus der Region einen Eindruck machen. Immer hat Rödel Wegbegleiter ermutigt und gefördert. An den Wänden seines Wohnhauses hängen Bilder zahlreicher Kollegen - manche sind weit über die Grenzen hinaus bekannt geworden. Rödel hat jetzt sein großes Atelier aufgelöst, die Kunst nach Hause geholt. Er will nun kürzer treten, Arbeitskraft und Gesundheit im Auge behalten. "Es gilt jetzt, so viel zu einem guten Ende zu führen, zu ordnen und zu archivieren", sagt er. "Dass ich dafür noch einige Zeit brauche, macht mich unruhig."
Zur Person: Udo Rödel, 1947 in Marktleugast geboren, ist Fachlehrer für Kunsterziehung. Von 1967 bis 2002 lehrte er an der Hauptschule in Münchberg und anderen Schulen des Landkreises Kunsterziehung und Technik. Anschließend war er Dozent für Bildnerische Praxis am Staatsinstitut zur Ausbildung von Fachlehrern in Bayreuth, das er zuletzt stellvertretend leitete. Nebenher wirkte Rödel als freischaffender Künstler. 1977 war er im Rahmenprogramm der Documenta 5 vertreten, 1980 an den Oberfränkischen Tendenzen sowie an vielen weiteren Ausstellungen. 1982 initiierte er die Gründung des Münchberger Bürgerzentrums, wo er in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Kunst und der Jungen Kunstschule des Landkreises, unterstützt von ehemaligen Schülern, noch heute kulturelle Veranstaltungen organisiert. 1968 trat Rödel in die SPD ein. 30 Jahre lang gehörte er dem Stadtrat an, zwölf Jahre als dritter, sechs Jahre als zweiter Bürgermeister. 1999 erhielt er den ersten Kunstpreis im Landkreis Hof, 2010 den Förderpreis für soziales und kulturelles Engagement der Freimaurerloge Morgenstern in Hof, 2012 die Bürgermedaille der Stadt Münchberg.